Wie viel Trost spendet der, der ABEND sagt?

Überspitzt gesagt: Wenn man durch das Lesen von Wörtern wie TROST oder LIEBE, ERINNERUNG oder GLAUBE getröstet würde, dann müsste es vielleicht auch möglich sein, durch das Lesen der Wortfolge LINSEN UND SPÄTZLE satt zu werden. Oder hinkt der Vergleich? Ja. Aber er hinkt beinahe nur in dem Maß, in dem beinahe alle Vergleiche hinken.

Wenn wir auf der Suche nach dem, was tröstet, Begriffe finden, die unseres Erachtens etwas mit Trost und Tröstung zu tun haben, so ist für die Gestaltung eines Außenraums, in dem Trost als reale Erfahrung möglich bis wahrscheinlich sein soll, unmittelbar noch nichts gewonnen. Den Namen eines Trost-Wortes, beispielsweise DANKBARKEIT, in Holz zu hauen und am Rand eines Rundwegs zu platzieren – das gleicht dem Versuch eines Arztes, seine Patienten nicht mit dem Medikament selbst, sondern schon mit dem Rezept, auf dem der Name des Medikaments geschrieben steht, zu heilen. (Solches soll allerdings schon vorgekommen sein.)

Auch dieser Vergleich kann sein Hinken nicht verbergen. Denn, das ist einzuräumen, die Resonanz eines gelesenen (oder gehörten) Wortes im emotional durchwirkten Gedankenraum kann unter Umständen eine quasi-medikamentöse Wirkung entfalten. Andererseits muss mit emotionalen Abwehrreaktionen gerechnet werden, die quantitativ und qualitativ die positiven Effekte, statistisch gesehen, unter Umständen mehr als nur aufwiegen. Um Genaueres zu erfahren, müsste man eigentlich empirische sozialpsychologische Studien in Auftrag geben.

Solange deren Resultate nicht vorliegen, ist man auf die eigenen Vermutungen und Intuitionen angewiesen. Ich vermute intuitiv: solange LIEBE nur ein lesbares Wort bleibt, lässt mich dieses kalt. Getröstet würde ich mich vielleicht dann fühlen, wenn ein Holzstamm, aus dem dieses oder ein anderes Wort in großen Buchstaben geformt worden ist, nach Jahren des Liegens unter freiem Himmel deutliche Spuren der Verwitterung und des Verfalls zeigt. Das ginge dann aber wahrscheinlich nur mir und solchen wie mir so. Bedingung der Möglichkeit solchen Trosts durch Verfall der in Holz gehauenen Großen Worte wäre es, dass jemand diesen ganzheitlich, also gedanklich und sinnlich (Gesichts-, Geruchs-, und Tastsinn) wahrnehmbaren Vorgang als tröstlich empfindet.

Wo Ergebnisse der empirischen Trostforschung noch nicht vorliegen, wird man auf einer allgemeinen theoretischen Ebene über tautologische Feststellung wie die zuletzt getroffene kaum hinauskommen. Trost spendet das, was tröstet. Mit dem Sammeln von Beispielen für Tröstliches wäre für die Trostpraxis einiges, für eine Theorie des Tröstens kaum etwas gewonnen.

Dichter, verstanden als orphische Sänger, suchen nicht nach adäquaten Begriffen, sondern erspüren empathisch sprachliche Bilder und Vergleiche. Der Klang der Worte, nicht ihr begrifflicher Inhalt, tut ein Übriges.

„Und dennoch sagt der viel, der ‚Abend‘ sagt, / Ein Wort, daraus Tiefsinn und Trauer rinnt // Wie schwerer Honig aus den hohlen Waben.“ So tröstlich endet Hugo von Hofmannsthals „Ballade des Äußeren Lebens“ (1896). Mit seiner Feststellung, dass mit dem Wort ABEND schon viel gesagt sei, scheint Hofmannsthal der eingangs formulierten These, dass einzelne, wie auch immer realisierte Wörter für sich genommen nicht trösten können, zunächst zu widersprechen. Doch steht das Wort Abend bei Hofmannsthal nicht isoliert da, sondern ist Bestandteil einer Verszeile, die wiederum am Ende eines längeren Gedichts steht. Tröstlich wirkt nicht das Wort, sondern das Wort im Kontext des Gedichts, das hier noch einmal im ganzen gelesen werden kann.

Trost durch das Wissen, wie alles ausgehen wird

Als nun Prometheus, dafür dass er den Menschen das Feuer gebracht hatte, „die gräßlich harte Strafe getroffen [hatte], an den äußersten Enden der Welt, in der skythischen Wüste, in der schauerlichsten Einsamkeit dem Sonnenbrande ausgesetzt, gepfählt und angeschmiedet zu werden,“ tröstete ihn der Gedanke, „daß auch an Zeus der Fluch seines Vaters [Iapetos, L. R.] in Erfüllung gehen und daß auch er wie früher Uranos und Kronos von seinem Throne gestürzt werden werde, weiß auch daß im dreizehnten Geschlechte ein Nachkömmling der gleichfalls unbillig gequälten Io [nämlich Herakles, L. R.] sein Befreier sein werde.“

Ludwig Preller: Griechische Mythologie, Band 1

Nicht umsonst also heißt Prometheus „Prometheus“, das ist „der Vorausdenkende“, „der Vorbedenker“. Es wäre interessant zu erfahren, wer Prometheus seinen Namen gegeben hat. Er muss gleichfalls ein Prometheus, ein Vorausdenkender gewesen sein.

Mythologischer Trost durch Herakles und Orpheus

Als“ die beiden wichtigsten und bedeutungsvollsten Thatsachen des griechischen Glaubens an die Unterwelt“ bezeichnet Ludwig Preller in seiner 1854 zuerst erschienenen Griechischen Mythologie (Band 1) „die Geschichte des Herakles und die des Orpheus in der Unterwelt. Beide Heroen hatten die schreckliche Macht des Todes überwunden, der eine durch die Kraft seines Muthes und seines Arms, indem er den Kerberos hinwegführte, der andere durch die seiner Liebe und seines frommen Gesanges, wodurch er das harte Herz der Persephone erweichte, ja selbst die erbarmungslosen Erinyen zu Thränen rührte. Sie hatten dadurch den tröstlichen Glauben verbreitet daß selbst der Tod und die Hölle nicht unüberwindlich sei“.

Süßer Trost?

In vino veritas und im Mohrenkopf, pardon: Schokokuss consolatio. Nachdem ich heute den Versuch, nach bald zweiwöchiger Zwangspause meine Lauf-Exerzitien wieder aufzunehmen, schon am Ende der ersten Runde wegen eines aktualisierten Schmerzes in der rechten Wade hatte abbrechen müssen, machte ich mit fünf Exemplaren der oben abgebildeten Art die Probe aufs Exempel. Wenn ich schon nicht joggen kann, will ich wenigstens etwas für die Figur tun.

Die Frage nach dem Trost als erste Frage im Heidelberg Katechismus

Wenn man ihn beim Wort nimmt, dann ist ein Katechismus eine Stimme, die von oben kommt. Typisch für die schriftliche Form des Katechismus im christlichen Kontext ist es, dass die Stimme immer wieder Fragen stellte und sie gleich selbst beantwortet.

Die erste Frage im sogenannten Heidelberger Katechismus (ab 1563) ist die Frage nach dem Trost im Leben und im Sterben: „Was ist dein einiger trost in leben vnd in sterben“. Und die Antwort: „Daß ich mit Leib vnd Seel / beyde in leben vnd in sterben / nicht mein / sonder meines getrewen Heilands Jesu Christi eigen bin / der mit seinem thewren blut / fuer alle meine suenden volkomlich bezalet / vnd mich auß allem gwalt des Teufels erloeset hat / vnd also bewaret / daß ohne den willen meines Vaters im himmel / kein haar von meinem haupt kan fallen / ja auch mir alles zu meiner seligkeit dienen muß. Darumb er mich auch durch seinen heiligen Geist des ewigen lebens versichert / vnd im forthin zu leben von hertzen willig vnd bereit macht.“