Trost-Module 5: Trost im Spiegel

Wollte jemand einen Garten des Trostes anlegen, so würde ich den Vorschlag machen, in der Nähe des Zentrums dieses Gartens eine große, etwa drei Meter hohe Holz-Stele aufzustellen, auf welcher in Spiegelschrift das Wort TROST zu lesen bzw. nicht zu lesen wäre. Denn wirklich lesen könnte man das Wort erst, wenn man nicht mehr auf die Stele, sondern in die Wasserfläche vor der Stele blicken würde. Die Grundidee für diesen möglichen Vorschlag verdanke ich dem schottischen Künstler Ian Hamilton Finlay (1925-2006), der 1975 in Stuttgart-Büsnau eine ähnliche Arbeit unter Verwendung des Wortes Schiff realisiert hat. Es wäre interessant zu erfahren, auf welchem Weg Finlay zu diesem Einfall kam.

Der besondere Charme des Objekts liegt für mich in seiner Indirektheit, also darin, dass es sich der Betrachterin (aber auch dem Betrachter) erst dann vollständig erschließt, wenn sie (er) ihren (seinen) Blick von ihm (dem Objekt) abwendet und auf die davor befindliche Wasserfläche richtet. Die, wenn man so will, geheime Botschaft lautet: Wir sehen (erkennen) etwas erst, wenn wir es nicht mehr sehen (fixieren) und wir finden Trost vielleicht am ehesten dort, wo wir gar nicht danach gesucht haben.

Auch hat Trost, abstrakt gesagt, etwas mit dem Umschlagen oder dem Sich-Wenden des Negativen ins Positive zu tun. Wobei der Trost weniger die Wende selbst ist (die muss im Leben stattfinden) als vielmehr die Aussicht auf die Wende, die konkrete Ahnung ihrer realen Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit, bis hin zur Gewissheit der Wiederkehr des Guten. (Was ist der christliche Trost anderes als die Erinnerung an die christliche Glaubensgewissheit der Letzten Wende, bestehend in der Wiederkehr Jesu Christi am Ende der Zeit.)

TROST-Stele für einen TROST-GARTEN, Modell 1:10, Maße der Ausführung: 285 x 70 x 45 cm

Trost-Module 4: Einen Weg des Trosts gehen

Einen Menschen, der unter einer veritablen Depression leidet, trösten zu wollen, käme einem Griff in die falsche Schublade des Großen Arzneischranks der psychologisch-psychiatrischen Hilfsmittel gleich. Statt mit Kanonen auf Spatzen, würde man mit einem Luftgewehr auf ein Nashorn schießen wollen. Dennoch sind die Depression und das durch Trost zu lindernde seelische Leid einander nicht ganz und gar unähnlich und fremd. Es gibt vermutlich sogar eine Schnittmenge der betreffenden Phänomen-Klassen. In einem Buch, in dem jemand über seine Depression (vom Autor „Miststück“ genannt), schreibt, nach Hinweisen zur möglichen Tröstung von Trostbedürftigen zu suchen, ist also wohl nicht ganz und gar abwegig.

In seinem hier schon mehrfach erwähnten Selbsterfahrungsbericht schreibt Alexander Wendt: „Depression im einsamen, unbehandelten rohen Zustand bedeutet, im Kreis zu laufen, wobei der Radius sich enger und enger zieht.“ (Wendt 2016, S. 91) Die Erfahrung des trostlosen und untröstlichen Im-Kreis-Gehens ist auch dem Trostbedürftigen (wie jeder aus eigener Erfahrung wissen wird) nicht fremd. Wäre es meine Aufgabe, eine Art Parcours der Tröstung anzulegen, dürfte demnach ein Spiral-Weg des Trosts nicht fehlen:

Man kann, ja man muss diesen Weg in beide Richtungen gehen. Erst von außen nach innen, also in die depressive Stimmung hinein, dann notwendig (und damit womöglich die Seelen-Not wenigstens im Ansatz ins Gegenteilige wendend) von innen nach außen, also aus der depressiven Gemütslage hinaus und ins Offene. Gegen das Zentrum der Spirale hin (etwa infolge gärtnerischer Maßnahmen) sollte die Enge zunehmen, während an der Peripherie eher Offenheit bzw. Öffnung erfahrbar sein würde.

Peter Riede schreibt in seinem Artikel über Trost/Tröster/trösten in: Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet:

„Zunächst einmal ist davon auszugehen, dass sowohl beim Trösten wie beim Empfinden von Leid eine Situation vorausgesetzt ist, die einen Menschen bedrückt und fast erstickt.“ „Wo die Wurzel נחם nḥm im Alten Testament verwendet wird, geht es demnach um einen Vorgang der Erleichterung, wie er z.B. im Fall einer Atemnot durch tiefes Luftholen vorausgesetzt ist. Bezogen auf die Bedeutung ‚trösten‘ ergibt sich daraus die Konsequenz, dass dieses geschieht, um einem anderen das Aufatmen und so die Rückkehr ins Leben zu ermöglichen.“

Den Weg hinein bis ins Zentrum der Spirale könnte man demnach als den Weg des Ausatmens bis hin zur Atemnot, den Weg zurück und wieder hinaus ins Offene als den des Ein- oder befreiten Aufatmens bezeichnen.

Lothar Rumold: Skizze zu einem von einer Hecke gesäumten Weg der möglichen Tröstung, 2018, Tablet-Zeichnung


Trost-Module 2: Den Leidenden zu Trost und Belehrung

Lothar Rumold: Lodovico Settembrinis Handapparat der literarischen Tröstung, 2018, Tablet-Zeichnung, Fotografie

Eine Zusammenfassung und kurzgefasste Analyse aller für jeden erdenklichen Konflikt in Betracht kommenden Meisterwerke der Weltliteratur zu verfassen – das hat sich Lodovico Settembrini „den Leidenden zu Trost und Belehrung“ in Thomas Manns Roman Der Zauberberg zur Aufgabe gemacht. (Im vorangehenden Blog-Beitrag ist davon ausführlich die Rede gewesen.) Warum nicht eine Auswahl dieser Meisterwerke als eine Art Handapparat der literarischen Tröstung in voller Länge und Breite Trost Suchenden an einem geeigneten Ort (beispielsweise unter Bäumen in der Nähe einer Quelle oder Bar) zur Verfügung stellen?