Süßer Trost?

In vino veritas und im Mohrenkopf, pardon: Schokokuss consolatio. Nachdem ich heute den Versuch, nach bald zweiwöchiger Zwangspause meine Lauf-Exerzitien wieder aufzunehmen, schon am Ende der ersten Runde wegen eines aktualisierten Schmerzes in der rechten Wade hatte abbrechen müssen, machte ich mit fünf Exemplaren der oben abgebildeten Art die Probe aufs Exempel. Wenn ich schon nicht joggen kann, will ich wenigstens etwas für die Figur tun.

Ohrentrost

Gestern habe ich hier ein Wiesenkraut vorgestellt, das mit einem seiner vielen Namen Augentrost genannt wird, weil es bei bestimmten Problemen mit den Augen eine heilende Wirkung entfaltet. Heilen und trösten scheinen demnach eng miteinander verwandt zu sein.

Synästheten wissen darüber hinaus um die enge Beziehung zwischen Auge und Ohr. Wer da von der Farbe (dem Auge) spricht, wird vom Ton oder Klang (dem Ohr) nicht schweigen wollen.

Gibt es also auch einen Ohrentrost? Wer das Wort googelt, wird zwar fündig, kann aber u. U. mit dem Gefundenen nicht viel anfangen, so ging es mir jedenfalls. Das Ohr allgemein mit Trost und Trösten in Verbindung zu bringen, ist die ergiebigere Vorgehensweisen. Ein offenes Ohr für jemanden zu haben, heißt, dass man dazu bereit und in der Lage ist, ihm oder ihr „empfangsbereit“ zuzuhören. Das Ohr, genauer gesagt: die Ohrmuschel, steht daher symbolisch für Zuhören-Können und -Wollen. Und das reicht manchmal schon aus, um jemanden zu trösten, der sich etwas von der Seele reden musste.

Noch mehr Ohren und demnächst mehr zum Thema Ohr gibt es hier.

Augentrost: Euphrasia officinalis

Wer dieser halbschmarotzenden, einjährigen, bis zu 30 cm hoch wachsenden, drüsig behaarten Wiesenpflanze mit gegenständig angeordneten, eiförmigen Blättern in die augenförmige Blüte schaut, soll angeblich frohen Sinnes werden. Außerdem erkannte man spätestens im 14. Jahrhundert, dass der Halbschmarotzer gegen Augenleiden hilft und in verräucherter Form auch im übertragenen Sinn hellsichtig macht, ob die moderne Naturwissenschaft dieses wie jenes nun versteht oder nicht.

In einem Garten des Trostes, so man denn einen anlegen wollte, dürfte das Kräutlein (es blüht von Juli bis September) also nicht fehlen, auch wenn es mit seinen Saugfüßen den Xylemstrom von Gräsern anzapft und deshalb unter uns Viehtreibern als „Weiddieb“ oder „Milchdieb“ gilt.

Euphrasia officinalis, zu den Inhaltsstoffen usw. bitte hier entlang.

Ein Haiku und das Trost-Maß wäre voll

Es soll Menschen geben, die sich schon im Frühjahr auf den nächsten Winter freuen und dann irgendwie über den Sommer und den Herbst hinweggetröstet werden müssen. Zu diesen gehöre ich nicht, sie sind wohl eher selten. Sonst wäre es auch merkwürdig, dass der Winter metaphorisch immer noch für eine dunkle Phase des Durchhalten-Müssens und des Hoffens auf bessere Zeiten steht.

Da Schönheit eines der Synonyme für Tröstung ist, weiß ich, warum ich diese Spur, als ich sie heute entdeckte und fotografierte, tröstlich fand. Fehlt jetzt nur noch ein Haiku dazu, um das Trost-Maß voll zu machen.

Die „pons trostes“ in Hamburg

In der Hamburger Altstadt gibt es eine sogenannte Trostbrücke, an der sich diese Inschrift befindet:

„Die schon im Jahre 1266 genannte Trostbrücke, einst geschmückt mit dem Trost der Christenheit, dem Cruzifix, verband die seit des Erzbischofs S. Anschar’s Zeit vorwiegend geistliche Altstadt mit der von Adolf III. Grafen zu Schauenburg, Stormarn u. Holstein dem Weltverkehr gewidmeten Neustadt, dem St. Nicolai Kirchspiel. Benachbart dem gemeinsamen Rathhause nebst Gerichtsgebäude, wie später der Börse und Bank, diesen Palladien der freien Stadt, war sie während vieler Jahrzehnte auch eine weltliche Trostbrücke für unsere hier wandelnden Qäker. Möge das Andenken an den göttlichen Schutz und Trost in schweren Zeiten der Vergangenheit Hamburg’s, auch in Zukunft uns und unsern Nachkommen trostreich lebendig bleiben. Die Trostbrücke wurde zuletzt von Grund auf neu gebaut im Jahre 1881.“

Auf diesem Kupferstich (ca. 1735) könnte man die Vorgängerin der heutigen „Trostbrücke“ sehen, wenn sie nicht durch die Börse und den rechten Baum verdeckt würde. Man tröste sich mit dem Gedanken, dass der Name der Brücke mit Trost im Sinne von consolatio ursprünglich gar nichts zu tun hatte. Wenn 1266 eine „pons trostes“ erwähnt wurde, dann meinte „trostes“ wahrscheinlich nur einen Grundbesitzer namens Trostes.

Zu einer Form-Analyse des Tröstens

Auch zum Trösten gehören immer zwei: eine tröstende und eine getröstete Seite. Ziemlich abstrakt und eher technisch gesagt, haben wir es einerseits mit einem Trost-Sender bzw. Trost-Spender und andererseits einem Trost-Empfänger zu tun. Was empfangen bzw. gesendet oder gespendet wird, nennen wir Trost. Das Medium des Tröstens (faziale Interaktion, Telefongespräch, Brief-, Mail-, Whats-App- oder Chat-Kontakt, Gedankenübertragung usw. usf.) darf bei einer (hier nicht zu leistenden) vollständigen Form-Analyse nicht unberücksichtigt bleiben.

In anderer Redeweise kann man auch den Trost als Medium (das Mittlere, das Vermittelnde) des Getröstetwerdens der Zu-Tröstenden durch die Tröstenden bezeichnen.

Bis hierher habe ich mehr oder weniger explizit unterstellt, dass es sich nicht nur beim Trost-Empfänger, sondern auch beim Trost-S(p)ender um ein menschliches Wesen handelt. Könnte aber der Trost-S(p)ender nicht auch ein (äußerlich betrachtet) unbelebtes Objekt, eine Pflanze oder ein Tier sein? In diesem Fall wäre allerdings zwischen Trost-S(p)ender und Trost kein Unterschied mehr auszumachen.

Alternativ dazu, kann man etwa bei einem Kuscheltier, mit dem ein Kind getröstet wird, sagen: Die eigentliche Trösterin ist die Person oder die Personengruppe, die „hinter“ dem unbelebten Trost-Objekt steht, typischerweise also die Mutter, der Vater, die Tante, der Opa – und zwar selbst dann noch, wenn diese (Person oder Gruppe) in einer aktuellen Tröstungs-Situation gar nicht anwesend (sondern zum Beispiel ganz oder teilweise im Kino) ist. (Jeder weiß natürlich, dass ein Kuscheltier kein unbelebtes Objekt ist, aber das kann und muss hier nicht näher ausgeführt werden.)

Womit ich sagen will: Ich favorisiere ein Tröstungs-Modell, bei dem Trösten formal als Sonderfall menschlichen Handelns analysiert wird. Eine Theorie des Tröstens wäre dann Teil einer universellen Theorie des menschlichen Handelns. An diesem Modell der Tröstung als Handlung theoretisch festzuhalten, wird dort schwierig, wo zwar ein Trost-Medium (im o. g. zweiten Sinn von „Medium“), aber nicht ohne weiteres ein Trost-S(p)ender festgestellt werden kann. Wenn also ein Medikament oder eine (im Laden gekaufte) Flasche Rotwein oder irgendein symbolisches Artefakt tröstende Wirkung zeigt, dann wird man wohl nicht in erster Linie (und schon gar nicht ausschließlich) den Pharmakonzern, den Weinhändler bzw. den französischen Winzer oder den Maler, der die Ikone gemalt hat, als Trost-S(p)ender in Betracht ziehen wollen. Mein Vorschlag wäre, in solchen Fällen von einer Tröstung durch ein Kollektiv von Kultur-Trägern auszugehen – oder wenn ein solches partout nicht auszumachen ist: von einem Fall von Tröstung durch das Leben, die Natur oder durch Gott, und damit letztlich doch wieder durch das Kultur-Kollektiv, das diese „Gegenstände“ hypostasiert bzw. im kulturellen Angebot hat. (Die weltanschaulich-philosophisch-religiösen Implikation meines Modells müssen hier unausgesprochen bleiben, doch soll nicht auf den Hinweis verzichtet werden, dass es sie gibt. Das gilt übrigens für jedes Modell im Rahmen jeder Theorie.)

TS > T > TE

Die Kürzel TS, T und TE in der obigen Formel sind mit Links zu drei Extra-Seiten unterlegt, auf denen weitere Ausführungen zur jeweils gemeinten Objekt-Klasse oder -Menge zu finden sind bzw. in Bälde zu finden sein werden.

P. S.: Ein weiterer Versuch im Rahmen einer Theorie des Trostes müsste sich mit der Frage befassen, ob beim hier skizzierten bipolaren Tröstungs-Modell am S(p)ender-Pol wirklich nur Aktivisten und am Empfänger-Pol wirklich nur (wie es die Ausdrucksseite der Begriffe suggeriert) passiv Empfangende zu denken sind. Aber das nur nebenbei.

Die Wiederholungsschleifen der Trauer

„Aber wie Esra sagt, der kleine depressive Informatiker von der B-Station: ‚Eine kleine Hypomanie wäre jetzt nicht schlecht.‘ Sie lässt sich auf jeden Fall besser aushalten als die Wiederholungsschleifen der Trauer.“

„Ich muss sagen, dass mir meine erste medikamenteninduzierte Hypomanie total schön vorkommt.“

Alexander Wendt: Du Miststück. Meine Depression und ich. Frankfurt am Main 2016 (S. Fischer Verlag), S. 54, 57

Bekömmliche Kombination

Settembrinis Trost in alternativer Form – beim Verdauen des einen hilft jeweils das andere. Aber von beidem sollte man nicht zuviel auf einmal zu sich nehmen.

Nährstoffe abzapfen und dafür Augentrost spenden

Ein Augentrost (Euphrasia monroi) nebst einer Pantoffelblume (Calceolaria sinclairii).

Während der Augentrost (170 bis 350 Arten) weltweit verbreitet ist, kommt die Pantoffelblume (rund 250 Arten) nur in Mittel- und Südamerika vor. Beide Pflanzen sind krautig, doch der Augentrost benimmt sich geradezu unkrautig, indem er einer von ihm (oder von der Evolution) auserkorenen Wirtspflanze Wasser und Nährstoffe entzieht. Im Gegensatz zu anderen Schmarotzern kann der Augentrost auch leben ohne zu parasitieren. (Was ist paradox? Wenn eine Pflanze parasitiert.)

Ich nehme an, auf dieser schönen kolorierten Zeichnung der in England geborenen Neuseeländerin Georgina Burne Hetley (1832-1898) sieht man eine Nährstoffgeberin in trauter bzw. krauter Eintracht mit einer Nährstoffnehmerin. Fragt sich nur, wie die Neuseeländerin dazu kam, eine vorwiegend in den südamerikanischen Anden verbreitete Pflanze zu porträtieren.