Trösten heißt (wieder) zuversichtlich machen

Heinrich Heine
Das Fräulein stand am Meere
(August 1832)

Das Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang,
Es rührte sie so sehre
Der Sonnenuntergang.

Mein Fräulein! sein Sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurück.

Caspar David Friedrich: Frau vor der unter– oder aufgehenden Sonne, 1818, Öl auf Leinwand, 22 x 30 cm (Museum Folkwang, Essen)

Der Titel dieses Gemäldes lautet wahlweise: „Frau vor der untergehenden Sonne“, „Sonnenuntergang“, „Sonnenaufgang“, „Frau in der Morgensonne“, „Morgenlicht“. Da hier kein Meer zu sehen ist, entscheide ich mich für die „Frau in der Morgensonne“. Denn nimmt man die fiktive Szene in Heines Gedicht und kombiniert sie mit Caspar David Friedrichs Szenario zu einer Art Liebes-Drama („Drama“ im kategorialen Sinn) in zwei Akten, so zeigt das Gemälde gewissermaßen den Morgen danach. Der Tröster vom Vorabend hat sich entweder schon davongemacht oder ist in die Rolle des Malers geschlüpft, um die Szene in Ermangelung eines Fotoapparats im Bild festzuhalten.

Beruhigend und tröstlich wie das Einfache und Notwendige

„‚Breite Wellen …‘, sagte Thomas Buddenbrook. ‚Wie sie daherkommen und zerschellen, eine nach der anderen, endlos, zwecklos, öde und irr. Und doch wirkt es beruhigend und tröstlich, wie das Einfache und Notwendige. Mehr und mehr habe ich die See lieben gelernt … vielleicht zog ich ehemals das Gebirge nur vor, weil es in weiterer Ferne lag. Jetzt möchte ich nicht mehr dorthin. Ich glaube, daß ich mich fürchten und schämen würde. Es ist zu willkürlich, zu unregelmäßig, zu vielfach … sicher, ich würde mich allzu unterlegen fühlen. Was für Menschen es wohl sind, die der Monotonie des Meeres den Vorzug geben? Mir scheint, es sind solche, die zu lange und tief in die Verwicklungen der innerlichen Dinge hineingesehen haben, um nicht wenigstens vor allem eins verlangen zu müssen: Einfachheit … Es ist das wenigste, daß man tapfer umhersteigt im Gebirge, während man am Meer still im Sande ruht. Aber ich kenne den Blick, mit dem man dem einen, und jenen, mit dem man dem andern huldigt. Sichere, trotzige, glückliche Augen, die voll sind von Unternehmungslust, Festigkeit und Lebensmut, schweifen von Gipfel zu Gipfel; aber auf der Weite des Meeres, das mit diesem mystischen und lähmenden Fatalismus seine Wogen heranwälzt, träumt ein verschleierter, hoffnungsloser und wissender Blick, der irgendwo erstmals tief in traurige Wirrnisse sah … Gesundheit und Krankheit, das ist der Unterschied. Man klettert keck in die wundervolle Vielfalt der zackigen, ragenden, zerklüfteten Erscheinungen hinein, um seine Lebenskraft zu erproben, von der noch nichts verausgabt wurde. Aber man ruht an der weiten Einfachheit der äußeren Dinge, müde wie man ist von der Wirrnis der inneren.'“

Thomas Mann: Buddenbrooks. Verfall einer Familie. Frankfurt am Main 1960 [zuerst 1901], S. 671 f.

Das Bild zum Zitat habe ich vorgestern in diesem Beitrag veröffentlicht.