Wer auf der Suche nicht nach Trost, sondern nach dessen Begriff die Suchfunktion des Online-Katalogs einer großen Bibliothek (beispielsweise der Badischen Landesbibliothek) in Anspruch nimmt, wird eher früher als später auf den Trost der Philosophie des spätantiken römischen Philosophen Boethius stoßen. Aber nicht von diesem fiktiv-realen Dialog des antiken Philosophen mit der inkarnierten (antiken) Philosophie soll die Rede sein (jedenfalls noch nicht), sondern von jenem Quäntchen Trost, das, wie der Titel verrät, der noch lebende österreichische Philosoph Peter Strasser in einem 135 Seiten schmalen Bändchen (Untertitel: Nachträge zur Glückseligkeit) dem Leser zu verabreichen sich vorgenommen hat.
Was Strasser Boethius und der auf ihn folgenden Philosophie bis hin zur Neuzeit und Moderne vorwirft, ist eben dasjenige, worauf sie sich selbst so viel zugute hält: ihre begriffliche Explizitheit, ihre intendierte Klarheit, ihre geistige (tatsächliche oder vermeintliche) Schattenlosigkeit. Wo „auch noch das letzte Geheimnis, das mysterium mysteriorum, auf die grell erleuchtete Begriffsbühne“ gehoben wird, sind „Gedankenschleier, Metapher und Poesie“ als Bedingung der Möglichkeit des Getröstet-Werdens um ihre Daseinsberechtigung gebracht. Die intellektuelle Gnadenlosigkeit (wie ich sagen würde) der Philosophie bei und nach Boethius ist nach Strasser schuld daran, dass wir durch die Philosophen im allgemeinen so wenig Trost erfahren. Strasser will aber „den Gedanken einer Tröstung durch Philosophie“ nicht aufgeben:
„Es soll ein Rahmen skizziert werden, in dem eine Neubesinnung der Philosophie immerhin möglich schiene. Ein Wesensziel der einst vielbeschworenen Liebe zur Weisheit bestünde demnach darin, unserem trostlosen Ganzen ein ‚Quäntchen Trost‘ entgegenzusetzen. Dies freilich sollte geschehen, ohne bloß substanzlos ‚trösterisch‘ zu agieren. Denn solch gefühliger Trost würde ja nichts weiter bewirken, als dem höheren Gefühlskitsch Vorschub zu leisten.“ (S. 11)
Der hohe, geistige Trost der Philosophie wird dem bloß „trösterischen“ und „gefühligen“ Trost an oder auch jenseits der Grenze zum „Gefühlskitsch“ gegenübergestellt und in scharfer Distanzierung von diesem unterschieden. Bei aller Wertschätzung für den Autor und sein Werk (dessen Lektüre ich hiermit empfehlen möchte) meine ich, diese anti-populistische verbale Bekreuzigung wäre nicht nötig gewesen. Wer tröstet, tröstet – und was Trost spendet, spendet Trost. Und jeder, der schon einmal bis über beide Ohren verliebt oder tieftraurig oder beides zugleich gewesen ist, weiß, dass in extremen Gefühlslagen die Unterscheidung zwischen Kitsch und Nicht-Kitsch irrelevant wird.
Peter Strasser: Ein Quäntchen Trost. Nachträge zur Glückseligkeit. Paderborn 2015 (Wilhelm Fink Verlag), 135 Seiten