Es hat eine Weile gedauert, bis ich mich in dieser Szene zurechtgefunden hatte. Mein stereotypisiertes Auge respektive Hirn sah auf den ersten Blick (und noch bevor es wirklich etwas gesehen hatte) eine andere Pietà, die Pietà des englischen Bildhauers Thomas Banks (1735-1805) eben. Dann las ich den Titel und sah noch immer eine Frau, die ihren Sohn in Armen hält, nicht den toten Christus, sondern den sich in Schmerzen über den verlorenen Freund windenden, gleichwohl noch nicht (durch den Pfeil des Paris) getöteten Achilleus. Die Dame hat aber ein erstaunlich muskulöses Bein, war mein dritter Gedanke – und erst da ging mir auf, dass der durchtrainierte Mann in der Mitte nicht Achilles, sondern (der im Zweikampf von Hektor getötete) Patroklos ist. Achills Mutter Thetis ist mit ihren Nymphen, wie der Titel informiert, gerade erst aus dem Meer aufgetaucht und strebt Richtung Sohn, der untröstlich am rechten Bildrand den Arm um den schönen Leichnam gelegt hat, als wollte er dem Verblichenen im Tod noch Trost spenden.
An Gesten der ruhigen Klage und der erregten Tröstungsbereitschaft herrscht hier kein Mangel. Allein man fragt sich, ob der tatsächlich und erfolgreich gespendete Trost ästhetisch gesehen nicht eine Katastrophe wäre. Schönheit und Untröstlichkeit sind bei Banks quasi dasselbe. Es gibt eine Form der Untröstlichkeit, die ihren Trost in sich selbst findet. Dass diese Untröstlichkeit schön ist, zeigt unmissverständlich, dass Trost das letzte wäre, was ihr in ihrem schönen, guten und wahren Bei-sich-Sein zupass käme. Achills Trostbedürftigkeit ist nichts als schöner Schein, um dessen überirdische, die Situation transzendierende Schönheit es sofort geschehen wäre, wenn der Tröstungswunsch der Mutter in Erfüllung ginge. Aber was für Achill und Patroklos gilt, gilt auch für Thetis und ihre Nymphen: die schöne Geste ist es, worauf es bei ihnen vor allem, um nicht zu sagen: ausschließlich ankommt.
Der Klassizismus sublimiert auch noch die bittersten Aspekte menschlichen Daseins, er zeigt, nein: er verherrlicht auch diese als unverzichtbare Element des Guten, Wahren und Schönen. Seine Ästhetik ist eine Ästhetik der Bejahung des unteilbaren Ganzen. Wer hier erfolgreich und zugleich ästhetisch befriedigend trösten wollte, müsste vorab zeigen, dass der getröstete Achill mindestens genauso schön ist wie der untröstliche.