Zur Institutionalisierung des Trosts

Trost oder Tröstung, das ist mir heute beim Lesen einer E-Mail, in der von vielerlei Trost-Erfahrungen berichtet wurde, klar geworden, bezeichnet nicht nur einen relativ abgeschlossenen, wenngleich wiederholbaren konkreten Einzel-Vorgang, sondern ist auch der Name für einen komplexen Prozess. Wenn ein Kind hingefallen ist, wird es getröstet und sobald der Schmerz nachgelassen hat, ist die Welt in der Regel wieder in Ordnung. Andere Schmerzen lassen nicht so schnell nach und es dauert womöglich Jahre, bis nach einem als Weltuntergang erlebten Verlust die Welt wieder einigermaßen in Ordnung ist, auch wenn sie nie wieder die alte sein wird.

Tröstung als Langzeitphänomen besteht aus einer Vielzahl von Trost-Erfahrungen, bei denen die unterschiedlichsten Akteure, Gegenstände, Vorgänge usw. in Erscheinung treten und eine Rolle spielen. Dabei ist der explizit als Tröstung erlebte Trost vielleicht sogar die Ausnahme. Dass ein Spaziergang mit einer Freundin oder einem Verwandten zur Wiederherstellung des Seelenfriedens beigetragen hat und also tröstlich gewesen ist, bemerkt man vielleicht erst am nächsten oder übernächsten Tag. Und unter Umständen einfach „nur“ indirekt daran, dass einem das morgendliche Aufstehen nicht mehr ganz so sinnlos vorkommt.

(„… wozu noch morgens aufstehn / Mein Tag ist finstre Nacht / Und kommt je wieder Licht / Wird sichtbar, was wir sind: / Ein Häufchen Elend nur -„, sang Wolf Biermann vor bald 40 Jahren traurig schön nach Louis Aragon.)

Für jeden Versuch, Trost und Tröstung gewissermaßen zu institutionalisieren, stellt die Komplexität und Unberechenbarkeit der Tröstung als Langzeitgeschehen oder Seelenheilungs-Prozess ein im Grunde nicht lösbares Problem dar. In diesen Kontext gestellt, kann Trost, überspitzt formuliert, alles und nichts sein. Gleichwohl kann man versuchen, die Selbstheilungskräfte des Lebens bei ihrem undurchschaubaren Tun und Lassen nach bestem Wissen und Gewissen zu unterstützen.

Ein grimmig-optimistisches Wort aus der großen Zeit Wolf Biermanns (wenn auch nicht von ihm geprägt, sondern sozusagen Volksmund) lautet: Wir haben keine Chance, aber die müssen wir nutzen.