Trost-Module 5: Trost im Spiegel

Wollte jemand einen Garten des Trostes anlegen, so würde ich den Vorschlag machen, in der Nähe des Zentrums dieses Gartens eine große, etwa drei Meter hohe Holz-Stele aufzustellen, auf welcher in Spiegelschrift das Wort TROST zu lesen bzw. nicht zu lesen wäre. Denn wirklich lesen könnte man das Wort erst, wenn man nicht mehr auf die Stele, sondern in die Wasserfläche vor der Stele blicken würde. Die Grundidee für diesen möglichen Vorschlag verdanke ich dem schottischen Künstler Ian Hamilton Finlay (1925-2006), der 1975 in Stuttgart-Büsnau eine ähnliche Arbeit unter Verwendung des Wortes Schiff realisiert hat. Es wäre interessant zu erfahren, auf welchem Weg Finlay zu diesem Einfall kam.

Der besondere Charme des Objekts liegt für mich in seiner Indirektheit, also darin, dass es sich der Betrachterin (aber auch dem Betrachter) erst dann vollständig erschließt, wenn sie (er) ihren (seinen) Blick von ihm (dem Objekt) abwendet und auf die davor befindliche Wasserfläche richtet. Die, wenn man so will, geheime Botschaft lautet: Wir sehen (erkennen) etwas erst, wenn wir es nicht mehr sehen (fixieren) und wir finden Trost vielleicht am ehesten dort, wo wir gar nicht danach gesucht haben.

Auch hat Trost, abstrakt gesagt, etwas mit dem Umschlagen oder dem Sich-Wenden des Negativen ins Positive zu tun. Wobei der Trost weniger die Wende selbst ist (die muss im Leben stattfinden) als vielmehr die Aussicht auf die Wende, die konkrete Ahnung ihrer realen Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit, bis hin zur Gewissheit der Wiederkehr des Guten. (Was ist der christliche Trost anderes als die Erinnerung an die christliche Glaubensgewissheit der Letzten Wende, bestehend in der Wiederkehr Jesu Christi am Ende der Zeit.)

TROST-Stele für einen TROST-GARTEN, Modell 1:10, Maße der Ausführung: 285 x 70 x 45 cm

Trösten heißt (wieder) zuversichtlich machen

Heinrich Heine
Das Fräulein stand am Meere
(August 1832)

Das Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang,
Es rührte sie so sehre
Der Sonnenuntergang.

Mein Fräulein! sein Sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurück.

Caspar David Friedrich: Frau vor der unter– oder aufgehenden Sonne, 1818, Öl auf Leinwand, 22 x 30 cm (Museum Folkwang, Essen)

Der Titel dieses Gemäldes lautet wahlweise: „Frau vor der untergehenden Sonne“, „Sonnenuntergang“, „Sonnenaufgang“, „Frau in der Morgensonne“, „Morgenlicht“. Da hier kein Meer zu sehen ist, entscheide ich mich für die „Frau in der Morgensonne“. Denn nimmt man die fiktive Szene in Heines Gedicht und kombiniert sie mit Caspar David Friedrichs Szenario zu einer Art Liebes-Drama („Drama“ im kategorialen Sinn) in zwei Akten, so zeigt das Gemälde gewissermaßen den Morgen danach. Der Tröster vom Vorabend hat sich entweder schon davongemacht oder ist in die Rolle des Malers geschlüpft, um die Szene in Ermangelung eines Fotoapparats im Bild festzuhalten.

Gemütvoller Trost

In seiner 1968 als Buch erschienenen Dissertation Trauer und Trost stellt Horst-Theodor Johann fest, dem deutschen Wort Trost eigne „ein Gemütston, der dem παραμυθητικóς (λóγος) wie der consolatio fremd ist.“ Ist der deutsche Trost „gemütlicher“ als der altgriechische und der römische, oder auch der Trost der Engländer und der Franzosen, deren gemeinsamer sprachlicher Ausdruck „consolation“ aufs Lateinische zurückgeht?

Die Herkunft des deutschen Wortes „Trost“ habe ich hier ein Stück weit aufzuzeigen versucht. Die emotionale Aura der Vokabel  wurde dabei nicht thematisiert. Ob die Deutschen gemütvoller trösten als die Römer bzw. Italiener, Engländer und Franzosen „consolieren“, kann und soll hier nicht entschieden werden. Wenn es nicht zu gewagt und ein wenig überstürzt wäre, würde ich in diesem Zusammenhang die These formulieren, dass eine spezielle, sozusagen evangelische Kultur des Tröstens in der Nachfolge der vom deutschen Sprachraum ausgehenden Reformation entstanden und mittlerweile von der katholischen Seelsorge ökumenisch adaptiert worden ist. Nirgends wird so hingebungs- und, wenn man so will, gemütvoll die Unauflöslichkeit der symbiotischen Verbindung von Leiden-Müssen, Trösten und Getröstet-Werden zelebriert wie in der Evangelischen Kirche. Es kommt mir so vor, als wären sämtliche irgendwann einmal vorhandenen thymotischen Energien restlos transformiert in solche eines dialektischen Eros von Leid und Tröstung. Dass die Konnotationen des Wortes Trost diese Transformation irgendwie reflektieren, liegt in der Natur der Sprache. „Gemütvoll“ wäre dann aber nicht das einzige Prädikat, das dem evangelisch gewordenen deutschen Trost bzw. „Trost“ zuzusprechen wäre.

Was Horst-Theodor Johann meint, wenn er sagt, dass unserem Wort Trost ein besonderer Gemütston eigne, verdeutlicht und illustriert möglicherweise diese tröstliche Kombination aus einem Gedicht von Ludwig Uhland und einer Radierung von Johann Wilhelm Schirmer. Gefunden habe ich sie auf der Website www.goethezeitportal.de.

Radierung von Johann Wilhelm Schirmer (geb. 1807 in Jülich, gest. 1863 in Karlsruhe)

Ludwig Uhland
Künftiger Frühling (1827)

Wohl blühet jedem Jahre
Sein Frühling mild und licht,
Auch jener große, klare –
Getrost! er fehlt dir nicht;
Er ist dir noch beschieden
Am Ziele deiner Bahn,
Du ahnest ihn hienieden,
Und droben bricht er an.

Klassizistischer Trost oder Die schöne Seite der Untröstlichkeit

Thomas Banks: Thetis taucht mit ihren Nymphen aus dem Meer auf, um Achill über den Verlust des Patroklos zu trösten, 1778, Marmor, 91,4 x 119 cm

Es hat eine Weile gedauert, bis ich mich in dieser Szene zurechtgefunden hatte. Mein stereotypisiertes Auge respektive Hirn sah auf den ersten Blick (und noch bevor es wirklich etwas gesehen hatte) eine andere Pietà, die Pietà des englischen Bildhauers Thomas Banks (1735-1805) eben. Dann las ich den Titel und sah noch immer eine Frau, die ihren Sohn in Armen hält, nicht den toten Christus, sondern den sich in Schmerzen über den verlorenen Freund windenden, gleichwohl noch nicht (durch den Pfeil des Paris) getöteten Achilleus. Die Dame hat aber ein erstaunlich muskulöses Bein, war mein dritter Gedanke – und erst da ging mir auf, dass der durchtrainierte Mann in der Mitte nicht Achilles, sondern (der im Zweikampf von Hektor getötete) Patroklos ist. Achills Mutter Thetis ist mit ihren Nymphen, wie der Titel informiert, gerade erst aus dem Meer aufgetaucht und strebt Richtung Sohn, der untröstlich am rechten Bildrand den Arm um den schönen Leichnam gelegt hat, als wollte er dem Verblichenen im Tod noch Trost spenden.

An Gesten der ruhigen Klage und der erregten Tröstungsbereitschaft herrscht hier kein Mangel. Allein man fragt sich, ob der tatsächlich und erfolgreich gespendete Trost ästhetisch gesehen nicht eine Katastrophe wäre. Schönheit und Untröstlichkeit sind bei Banks quasi dasselbe. Es gibt eine Form der Untröstlichkeit, die ihren Trost in sich selbst findet. Dass diese Untröstlichkeit schön ist, zeigt unmissverständlich, dass Trost das letzte wäre, was ihr in ihrem schönen, guten und wahren Bei-sich-Sein zupass käme. Achills Trostbedürftigkeit ist nichts als schöner Schein, um dessen überirdische, die Situation transzendierende Schönheit es sofort geschehen wäre, wenn der Tröstungswunsch der Mutter in Erfüllung ginge. Aber was für Achill und Patroklos gilt, gilt auch für Thetis und ihre Nymphen: die schöne Geste ist es, worauf es bei ihnen vor allem, um nicht zu sagen: ausschließlich ankommt.

Der Klassizismus sublimiert auch noch die bittersten Aspekte menschlichen Daseins, er zeigt, nein: er verherrlicht auch diese als unverzichtbare Element des Guten, Wahren und Schönen. Seine Ästhetik ist eine Ästhetik der Bejahung des unteilbaren Ganzen. Wer hier erfolgreich und zugleich ästhetisch befriedigend trösten wollte, müsste vorab zeigen, dass der getröstete Achill mindestens genauso schön ist wie der untröstliche.

Porträt des Künstlers als Engel der Melancholie

Albrecht Dürer: Melencolia I, 1514, Kupferstich, 24,5 x 19,2 cmMel

Warum hält der dunkle Engel der Melancholie einen Zirkel in der Hand? Handelt es sich hier um eine Art geistiges Selbstporträt des Werk-Autors Albrecht Dürer, wie der Kunsthistoriker Erwin Panofsky mutmaßt? Für Alexander Wendt jedenfalls steht fest: „Wahrscheinlich gibt es keine großartigere und genauere Landkarte der eigenen Depression“. (Wendt 2016, S. 71) Wer sich im Labyrinth der Deutungsmöglichkeiten ein wenig herumführen lassen möchte: bei jedem Mausklick beginnt eine neue Führung, und zwar hier. Und wer sich dann auch noch durch die Links auf der verlinkten Seite klickt (es lohnt sich), weiß anschließend so ziemlich alles, was man über dieses Bild wissen kann. Am Ende bitte nicht vergessen, dem Führer ein Trinkgeld zu geben und hier einen Kommentar zu hinterlassen.

P. S.: Den Klein-Engel im Bild sieht Alexander Wendt übrigens in der Rolle des Arztes und nennt ihn „Doktor Putto auf dem Mühlstein, der kleine geflügelte Therapeut. Er macht sich Notizen.“

Vom Kelch des Trostes

Die eine spezifisch christliche und potentiell tröstliche Antwort auf die Frage nach dem (christlichen) Trost und den Möglichkeiten der (christlichen) Tröstung scheint es zunächst nicht zu geben. Die Auskunft, dass der christliche Glaube selbst als Daseins-Modus des Ein-für-alle-mal-getröstet-Seins (unter der Bedingung des vorbehaltlosen Vertrauens in Gott) nur ein anderes Wort für Trost sei, führt geradewegs in die Endlosschleifen der Tautologie. Wer als Trost nur alles (Gott) zu bieten hat, hat für hier und jetzt erklärtermaßen nichts zu bieten. Auch der Hinweis darauf, dass der christliche Gott in der Passion des zu Tröstenden zwar in höchstem Maße mitleidend, doch fürs erste machtlos gegenwärtig sei, wirkt auf Trostsuchende, die mit den christlichen Dogmen wenig bis gar nicht vertraut sind (was wohl auch für die meisten sogenannten Christen gilt), eher irritierend als tröstlich.

Dennoch gibt es womöglich etwas, was das Christentum metaphorisch und real zugleich zu bieten, um nicht zu sagen: darzureichen hat. Es ist dies der Becher des Trostes, in dem sich wahlweise oder als immateriell-materielles Konglomerat menschlicher Zuspruch, konkrete Hilfe aller Art, heißer Tee oder vergorener Traubensaft befinden könnten. Im von Christian Schütz herausgegebenen Praktischen Lexikon der Spiritualität (Freiburg 1992) findet man zum Symbol des Trostbechers diese Ausführungen:

„Das ganzheitliche biblische Verständnis des Trostes (in Wort und Tat) findet seinen zeichenhaften Ausdruck in der Übergabe des ‚Trostbechers‘, den der Tröstende dem Trauernden überreicht. Dabei kann auch Brot gegessen werden. Dieses Symbolhandeln gewinnt im Abendmahl Jesu mit den Jüngern seine wohl letztmögliche soteriologische und eschatologische Dimension. Der Becher des Heils ist ein Becher des Trostes: des Zuspruchs der gegenwärtigen und zukünftigen Gnade und des Erbarmens des menschgewordenen Gottes in der bestehenden geschichtlichen und persönlichen Situation mit dem Anspruch, die Verkündigung des ‚Todes des Herrn‘ und seiner Auferstehung, ‚bis er wiederkommt‘, in die Gegenwart als ein Handeln einzubringen, das sich an der Geschwisterlichkeit des verkündigten Jesus Christus orientiert.“

Das Gegenstück zum Becher des Trosts ist der Kelch des Leids, im bangen Vorausblick auf welchen Jesus Christus sich vom Vater vergebens wünschte, er möge an ihm vorübergehen. Man ahnt: Trost-Becher und Passions-Kelch sehen sich im christlichen Symbolraum zum Verwechseln ähnlich. Wo der Becher des Trosts gereicht wird, muss immer auch der Kelch des Mitleidens geleert werden. Trost und Leid sind die zwei Seiten derselben religiösen Medaille, Passion, Tröstung und christlicher Glaube bilden die dreifache Schnur, von der es in Prediger 4, Vers 12 heißt, sie reiße nicht leicht entzwei.

Ich danke Dr. theol. Matthias Wörther für seine fachkundige Zitatauswahl und für die Liste der folgenden Nachschlagewerke (für die Schlüsse, die ich aufgrund der Lektüre gezogen habe, trage ich natürlich die alleinige Verantwortung):

Praktisches Bibellexikon, 2. Auflage, Freiburg 1977

K. Rahner / H. Vorgrimler: Kleines theologisches Wörterbuch, 11. Auflage, Freiburg 1978

Christian Schütz (Hrsg.): Praktisches Lexikon der Spiritualität, Freiburg 1992

Prof. Dr. Peter Riede: Trost/Tröster/trösten, in: Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (WiBiLex), permanenter Link zum Artikel

Leonardo da Vinci: Das Abendmahl, 1494-97, 422 x 904 cm

Nährstoffe abzapfen und dafür Augentrost spenden

Ein Augentrost (Euphrasia monroi) nebst einer Pantoffelblume (Calceolaria sinclairii).

Während der Augentrost (170 bis 350 Arten) weltweit verbreitet ist, kommt die Pantoffelblume (rund 250 Arten) nur in Mittel- und Südamerika vor. Beide Pflanzen sind krautig, doch der Augentrost benimmt sich geradezu unkrautig, indem er einer von ihm (oder von der Evolution) auserkorenen Wirtspflanze Wasser und Nährstoffe entzieht. Im Gegensatz zu anderen Schmarotzern kann der Augentrost auch leben ohne zu parasitieren. (Was ist paradox? Wenn eine Pflanze parasitiert.)

Ich nehme an, auf dieser schönen kolorierten Zeichnung der in England geborenen Neuseeländerin Georgina Burne Hetley (1832-1898) sieht man eine Nährstoffgeberin in trauter bzw. krauter Eintracht mit einer Nährstoffnehmerin. Fragt sich nur, wie die Neuseeländerin dazu kam, eine vorwiegend in den südamerikanischen Anden verbreitete Pflanze zu porträtieren.

Du Trost der Betrübten: Maria Consolatrix afflictorum

Gnadenbild der Muttergottes von Kevelaer, Kupferstich 1640

In der aus dem Mittelalter stammenden Lauretanischen Litanei (i. e.: die Litanei von Loreto, ein in vielerlei Hinsicht bemerkens- und besuchenswerter Wallfahrtsort in den italienischen Marken) wird Maria u. a. als „Consolatrix afflictorum“, d. h. als „Trösterin der Betrübten“ oder auch „Trost der Betrübten“ tituliert.

Kevelaer am Niederrhein gehört zu den bekannteren Wallfahrtsorten der Trösterin. Der oben abgebildete Kupferstich ist seinerseits die Abbildung eines Bildnisses. Er zeigt (in ziemlich freier Nachbildung) eine aus Lindenholz geschnitzte Statue, die in Luxemburg seit dem 17. Jahrhundert im Rahmen einer vorösterlichen Wallfahrt verehrt wird.

Oben habe ich durchblicken lassen, dass ich selbst auch einmal eine eher touristisch gemeinte (Wall-)Fahrt nach Loreto unternommen habe. Meine Frau und ich besuchten den Ort 2009 während unseres Sommerurlaubs in den schönen Marken. Die Mischung aus merkantilem Treiben und ostentativ gelebtem Glauben hat uns beeindruckt. Da es hier um das Thema Trost und Trösten geht, erlaube ich mir, eine Passage aus unserem damals gemeinsam verfassten Reisetagebuch wiederzugeben. Schauplatz der geschilderten Szene ist die Wallfahrtskirche, die Basilika vom Heiligen Haus (in letzterem war Maria in Nazareth aufgewachsen, aber das ist eine andere Geschichte):

„Eine große Zahl der reichlich vorhandenen Beichtstühle ist sozusagen in Betrieb, sie aufzusuchen scheint das Selbstverständlichste von der Welt zu sein. Ein alter Priester mit weißem Bart sitzt im erhöht angebrachten, offenen Absolutionsmöbel und spricht mit einer Frau, die, zu ihm aufschauend, vor ihm steht, die gefalteten Hände auf eine Armlehne gestützt. Während sie miteinander reden, bekräftigt er seine Worte mit sanftem Schulterklopfen – eine zu Herzen gehende, sinnbildhafte Szene des erkennbar nicht auf Augenhöhe gespendeten Trostes, deren Wert und Wahrheit uns über jede noch so schlüssige Religionskritik erhaben zu sein scheint.“

Im Augustinerorden ist der 4. September der Festtag für „Maria, Mutter des Trostes“ und in bestimmten Regionen ist der Samstag nach dem 28. August (Fest des Heiligen Augustinus) der „Tag der Maria vom Trost“.